Machsan VI 2012


Rauminstallation in der historischen Zehntscheuer, Kunstforum Merdingen

Wellpappe, Sperrholz, Getriebemotoren, Scheinwerfer

Im Herkunftswörterbuch findet man unter dem Stichwort MAGAZIN die Bedeutungen: „Vorratshaus, Zeughaus, Lagerraum.“ Außerdem steht dort: „Im Anfang des 16. Jahrhunderts aus gleichbedeutend arab. machaasin (Mehrzahl von machsan) entlehnt…“

Damit ist zunächst einmal die Ambivalenz jedes Gebäudes benannt: die Außengestalt eines Gebäudes bezeichnen wir mit „…haus“, die Innengestalt mit“…raum“. Auch im Falle der historischen Merdinger Zehntscheuer zwei Seiten, die sich deutlich unterscheiden. Der von außen mit seinem großflächigen Satteldach und den niedrig wirkenden Seitenwänden eher unscheinbare und plumpe Zweckbau des 17. Jahrhunderts, entfaltet innen unter dem sehr langgestreckten Gerüst des historischen Dachstuhles eine beeindruckende Höhe. Die tragenden Dreiecksbinder der Dachsparren im 5 Meter Abstand formen zudem einen bestimmenden Rhythmus .

Diese Innengestalt könnte es gewesen sein, die Merdinger Bürger in den 80iger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einem Kampf um die Erhaltung des vom Abriss bedrohten Gebäudes inspirierte. Dieser Innenraum hat eine besondere Stimme, die zum Klingen gebracht werden möchte.

Für mich klingt an solchen historischen Orten zu aller erst die Geschichte, der ursprüngliche Zweck dieses Gebäudes an. Jahrhunderte lang ist in dieser Lagerhalle und ihren Vorläufern die materielle Grundlage des Deutschen Ordens, eines christlich-fundamentalistischen Ritterordens mit europaweiten Besitzungen, aufgestapelt worden: die Zehntabgaben der Bauern aus Merdingen und Umgebung.

Der Orden wurde im Laufe des dritten Kreuzzuges 1189 vor Akkon im Norden des heutigen Israel als Feldhospital gegründet und bereits 1198 zum Ritterorden der Deutschen Kreuzfahrer erhoben. Durch zahlreiche Schenkungen aus dem Feudaladel bekam er Besitzungen in ganz Europa, so auch im Oberrheintal. Dies geschah häufig durch die Mitgift der in den Orden mit dem Gelübde der Armut, ehelosen Keuschheit und des Gehorsams gegenüber dem Hochmeister eintretenden jungen Adligen. Der Orden unterstand seit 1221 kirchenrechtlich direkt dem Papst, war also hierarchisch über der Ebene der Bischöfe angesiedelt.

Er bekam viele militärische Aufgaben im „Heiligen Land“, in dem vorher trotz fast 500 jähriger muslimischer Herrschaft Juden und Christen meist ungestört ihren Glauben pflegen konnten. Nach dem endgültigen Verlust Palästinas an die Muslime 1291 konzentrierte er sich aber darauf, die gegen die heidnische Prußen gerichteten Eroberungen im Baltikum östlich der Weichsel auszubauen. Sie waren bereits ab 1230 kraft eines päpstlichen Kreuzzugsprivilegs mit dem Ziel der Schaffung eines geschlossenen Staatsgebietes vorangetrieben worden. Dabei griff der Orden seit Beginn des 14. Jahrhunderts auch Territorien des litauischen Großfürsten und des polnischen Königs an. Mit diesem gewaltsamen Vorgehen wurde er zum Urbild des preußischen Militarismus.

Die Theologen des Deutschen Ordens rechtfertigten das militärischen Vorgehen gegen die„ungläubigen“ Prußen und Litauer, die eine Taufe ablehnten, unter Berufung auf das Buch „De civitate dei“ aus dem 5. Jahrhundert nach Christus, in dem der antike Kirchenlehrer Augustinus den Begriff vom „gerechten Krieg“ definierte. Danach besteht kraft Gottes Willen eine ewige Feindschaft zwischen der Welt des immanent Guten (die Gott unterstellte Gesellschaft der getauften Christen/ Civitas Dei) und der Welt der von der Erlösung Ausgeschlossenen ( der heidnische Rest der Welt/ Civitas terrena). Die vernünftige Ordnung Gottes sei nicht in den Dingen vorhanden, sondern komme erst durch die Befolgung der göttlichennWeisungen in die Welt. Unglauben sei also eine Bosheit gegenüber Gott, Heiden seien Werkzeuge des Bösen, Frieden mit ihnen sei unmöglich. Der Wille Gottes verurteile die „hochmütigen Heiden“ zur Vernichtung. An Heiden könne daher weder Raub noch Mord verübt werden, weil das von ihnen beanspruchte Dominium (Herrschaftsgebiet) nicht gerecht und damit illegal sei.

Gegen diese Rechtfertigung strengte der König von Polen auf dem Konstanzer Konzil 1414 eine Lehrmeinungsklage (processus doctrinalis) an, um das Vorgehen des Deutschen Ordens in Ostpreußen auch theologisch in Frage zu stellen. Militärisch war ihm 1410 in der Schlacht bei Tannenberg ein vernichtender Sieg über den Deutschen Orden gelungen, von dem dieser sich nie wieder erholte. Theologisch wurde dieser militärische Sieg dann flankiert durch ein offizielles Verbot weiterer „Missionierungstätigkeit“ durch den Deutschen Orden im Bereich der längst christlich gewordenen Gebiete Litauens und Polens.

Die Argumentation der polnischen Gelehrten stützte sich auf die Theologie Thomas von Aquins, der im Gegensatz zu Augustinus davon ausging, dass die vernünftige Ordnung Gottes von vornherein in der Welt existiere, also nicht erst durch die Befolgung der göttlichen Gebote in diese hinein gebracht werde. Damit sei jeder Mensch a priori Teil des Gültigkeitsbereiches des ewigen göttlichen Gesetzes.

Jahrhunderte lang war der augusteische Begriff vom „gerechten Krieg“ im christlichen Europa verbindlich und nicht nur Rechtfertigung für den tausendfachen Mord an „Ungläubigen“ sondern auch Begründung für den vom Papst gegen die muslimische Welt verhängten Boykott, also das Verbot der kaufmännischen, aber auch der geistigen Kontaktaufnahme mit Muslimen. Die vom Atlantik bis zum Indus reichende Welt muslimischer Kultur störte dieser Boykott wenig, zumal diese Kultur der westlichen auf allen Gebieten weit überlegen war. Die Höfe östlicher Fürsten wetteiferten schon im frühen Mittelalter miteinander in der Förderung der Wissenschaft, der Kunst und Literatur und bauten zahllose Bibliotheken auf, die nicht nur Texte antiker Autoren im Original enthielten sondern auch eine umfassende Weiterentwicklung der antiken Wissenschaft ermöglichten, ohne deren Rezeption in Form lateinischer Übersetzungen die europäische Renaissance gar nicht denkbar wäre.

In Europa aber verzögerte der päpstliche Boykott die Entwicklung um Jahrhunderte und er bewirkt bis heute, dass die enge historische Verflechtung unserer Welt mit der muslimischen Welt verdrängt wird.

Eine Speerspitze dieses päpstlichen Agierens war der Deutsche Orden und deshalb ist es für mich in einer Zeit, in der uns die Welt des Islam vorwiegend als fundamentalistisch, rückständig und gewaltbereit dargestellt wird, reizvoll, in diesem Raum das Nahe in der Kultur der fernen „Hochmütigen“ zu betonen, das bereits in dem arabischen Lehnwort Magazin und vielen weiteren Lehnwörtern aus der Kultur des Orients anklingt.

Seit meiner ersten Begegnung mit der Merdinger Zehntscheuer fühle ich mich von dieser eigenartigen Mischung aus Schwere und aufstrebender Leichtigkeit, die diesen Raum prägt, angezogen und zur bildhaften Auseinandersetzung mit dem, was in diesem Raum aus der über 200jährigen Geschichte anklingt, aufgefordert. Die drei raumgreifenden kinetischen Objekte, die ich nun speziell für dieses Gebäude entworfen habe, beziehen sich auf ein Bauprinzip muslimischer Architektur, das ich in Granada, Palermo und Istanbul studieren konnte: der Projektion geometrischer Ornamente in den Raum.

Damit wird kein inhaltlicher Bezug zu Korantexten gesucht. Es ist vielmehr eine Hommage an die faszinierende Kunstfertigkeit derer, die schon vor Jahrhunderten auf der Basis von 5- und 10 Ecken regelmäßige Flechtornamente entwickelten, die gewaltige Ausmaße annehmen können, ohne dass sich die Teile jemals wiederholen. Ein Phänomen, dass der israelische Chemie-Nobelpreisträger von 2011 Daniel Shechtmann entgegen allen Lehrmeinungen der Chemie als paradoxes Strukturmerkmal der Materie neu definieren konnte: eine mathematische Regelmäßigkeit, obwohl sich die einzelnen Strukturelemente niemals wiederholen.

Hier dienen vergleichsweise kleinflächige Ornamente als Ausgangsmaterial für Raumkörper, die zusammen mit einer besonderen Lichtsituation und zentrischen Drehbewegungen eine Raumsituation schaffen, die die Leichtigkeit stärker betont als die Schwere. Das Lagerhaus kann so über die ursprüngliche Funktion als Sammelort der Zehntabgaben des christlich fundamentalistischen Ritterordens hinaus auch als Ort geistiger Ablagerungen spürbar werden. Anknüpfungspunkte sind dabei nicht nur geometrische Flechtornamente aus dem arabischen Raum, sondern auch die Geometrie des Deutschordenskreuzes und der Grundrisse von Deutschordensburgen, die von Quadraten und Kreuzgratgewölben geprägt sind. Durch Projektion in den Raum werden die Ornamente zu Körpern, die die Polarität, aber auch Möglichkeiten gegenseitiger Befruchtung dieser heute oft unvereinbar scheinenden Welten ausloten.